Der Hype um die Hunde mit „Jobs“
von
BETTINA KÜSTER

Noch nie hat der Mensch so viel Wert auf die Ausbildung seines Hundes zu einem „Hund mit Job“ gelegt. Ein regelrechter Hype um die Ausbildung des eigenen normalen „Familienhundes“ zu einem Hund mit Job ist in Deutschland ausgebrochen. Jeder, der auf sich und seinen Hund etwas hält, möchte seinem Hund einen Job geben. Auch die „professionellen“ Therapiezentren, in denen alle möglichen Arten von Therapie-, Behinderten-, und Assistenz- und Warnhunde ausgebildet und bestellt werden können, schießen wie Pilze aus dem Boden.
Ich google „nur“ den Begriff Therapiehund und erhalte schon 53 Seiten mit den entsprechenden Web-Seiten, aus denen ich Informationen über die Ausbildung und Anschaffung eines Therapiehundes erhalten kann. Deshalb erspare ich mir das Suchen über Google von Behinderten-, Assistenz- und Warnhunden.
Automatisch ist jeder dieser Ausbilder oder jede dieser Ausbildungsstätten der Ansprechpartner Nummer 1 in Deutschland. Bei so vielen selbsternannten Experten frage ich mich dann immer: „Wer legt das fest?“ Außerdem stellt sich mir die Frage: “Inwieweit sind denn diejenigen, die festlegen, ob jemand oder ein Zentrum die Nummer 1 in Deutschland ist, qualifiziert, über die Ausbildung eines Hundes mit Job zu urteilen?“
Die Ausbildung von Hunden für Dritte wurde zumindest insofern geregelt, als dass jeder, der gewerbsmäßig eine Hundeschule betreibt, jetzt bei seinem zuständigen Veterinäramt als „geprüft“ gemeldet, registriert und anerkannt ist. Über die Praktiken der Auswahl der Prüfungsverfahren der Veterinärämter will ich hier jetzt nichts zu schreiben und keine Stellung beziehen. Ich habe das Gefühl, dass in dieser Sparte so viel Schindluder mit unseren Hunden getrieben wird wie nie zuvor.

Warum schreibe ich diesen Artikel?
Es liegt absolut nicht in der Natur eines Hundes, eine konditionierte bestimmte Verhaltenskette auszuführen aufgrund eines vorangegangenen Auslösers, sei es eine Unterzuckerung oder der Vorbote einer Epilepsie. Hunde werden dazu ausgebildet gefährliche Krankenhauskeime oder Schimmel zu erschnüffeln und anzuzeigen, um dann für „teures Geld“ verkauft werden zu können. Leider wird die Schädigung der Gesundheit des Hundes in Kauf genommen, sei es physischer oder psychischer Art. Immer wieder klagen Blinde, dass ihr Blindenhund sie nicht vernünftig „geführt“ hat und doch tatsächlich mit einem anderen Hund Kontakt aufnehmen wollte. Verständlich, dass ein Arbeitshund froh ist, wenn er auf seinesgleichen trifft und eigentlich gerne lieber mit ihm kommunizieren will, als den Blinden über die Straße zu bringen. Hunde haben Gefühle, sie zeigen sie ständig und kommunizieren die ganze Zeit mit ihrem Gegenüber – sei es Hund oder Mensch. Sie sind eigenständige Wesen und keine Hilfsmittel, die man bei der Krankenkasse beantragen kann! Was sollen Hunde denn als nächstes tun? Den Einschreibebrief mit Rückschein bei der Post aufgeben?
Hunde mit Jobs werden absolut in ihrer hundlichen Freiheit eingeschränkt und gegen ihre Natur ausgebildet und eingesetzt. Sie haben ein Schlafbedürfnis von 16-20 Stunden pro Tag. Wenn sie dies nicht erreichen, steigt ihr Cortisolspiegel, der wiederum nur sehr langsam abgebaut wird. Das bedeutet, ein Hund braucht wesentlich länger als ein Mensch, um sich vom Stress zu erholen. Hat der Hund diese Ruhephasen nicht, können Verhaltensauffälligkeiten auftreten. Ein Mensch kann hingegen bei Schlafentzug nach einem Nickerchen schon wieder voll einsatzfähig sein.
Alle Hunde mit Jobs zahlen einen sehr hohen Preis, egal welchen unnatürlichen Job sie ausführen. Diese Hunde sind meist immer an der Seite des Halters im Dauereinsatz, arbeiten ohne Pausen und Wenn und Aber – sie kennen keinen Feierabend.

Warum wollen Menschen einen Hund mit Job?
„Ich wollte einen Hund, der etwas „Gutes“ kann, um Menschen zu helfen. Ich dachte, es fühlt sich gut an, einen gut erzogenen Hund zu haben, der auch noch etwas Besonderes kann und ich hatte das Gefühl ich hätte etwas geleistet.“ (O-Ton einer Halterin, die jahrelang mit ihren Hunden Therapiehundearbeit gemacht hat). Dann hat sie sich mit der Kommunikation der Hunde beschäftigt und war entsetzt über die Signale, die ihre Hunde auf vielen Fotos gezeigt hatten. Sie hatte diese vorher nie gesehen bzw. erkannt und konnte diese somit auch nicht deuten und verstehen.
„Doch die Kehrseite ist, wir versuchen sie zu desensibilisieren (laute Geräusche, Menschen mit Stöcke, Gehilfen usw.) und bürden ihnen Dinge auf (z. B. sich streicheln lassen müssen) ohne dass sie es zu wollen.“
Altenheimbewohner sind glücklich, Hunde zu sehen und freuen sich, sie zu berühren. Doch unsere Hunde sind tolerant, aber nicht glücklich mit und in dieser Situation. Hunde sind höchst sozial und kooperativ, und das wird ihnen zum Verhängnis.
Die Hunde tun ihren Job, kommunizieren ständig mit uns und zeigen, dass sie sich nicht wohl fühlen. Sie sind gehorsam aufgrund ihrer speziellen Ausbildung und würden eigentlich lieber aus der Situation entfliehen. Man hat ihnen beigebracht sitzen zu bleiben, wenn sie gestreichelt werden, ob sie es wollen oder nicht.
Sie werden durch Menschenmengen geführt, damit sie sicher werden, ob sie wollen oder nicht. Ein Hund erlangt keine Sicherheit, wenn er durch Menschenmengen geführt wird, sondern stumpft nur ab. Trotzdem lassen die Hunde mit Jobs auch dies einfach über sich ergehen. Das Ganze nennt man dann „Erlernte Hilflosigkeit“: der Hund weiß, dass er aus dieser Situation nicht herauskommt und „befolgt“ alle Befehle/Kommandos/Signale.
(Erlernte Hilflosigkeit oder Intelligente Gehorsamsverweigerung).

Warum setzen wir unsere Hunde solchem Stress aus?
Die Hundehalter sind egoistisch. Sie denken, es hat einen therapeutischen Sinn, z. B. das Leben der Bewohner in einem Seniorenheim zu erhellen, oder einen ausgebildeten Hund für einen Autisten zu haben. Keiner denkt an die Hunde, denn leider ist das alles andere als therapeutisch für unseren besten Freund – den Hund. Viele dieser Hunde bekommen einen riesigen Zuspruch und werden als Helden gefeiert.
Erlernte Hilflosigkeit und Intelligente Gehorsamsverweigerung
Einige solcher Hunde mit Jobs leiden an der so genannten Erlernten Hilflosigkeit. Die meisten Hunde fühlen sich in ihrem „Job“ nicht wohl und zeigen es ständig durch ihr ausgeprägtes Ausdrucksverhalten. Sie könnten fliehen, tun es aber nicht aufgrund ihrer strengen Ausbildung. Sie führen weiter ihre Signale/Befehle und Kommandos aus, oder lassen Dinge über sich ergehen, die gegen ihre Natur sind (z. B. lassen sich von Fremden am Kopf streicheln). Das ist das Phänomen der Erlernten Hilflosigkeit. Hunde sind sehr höfliche Wesen und sind dankbar für eine Annäherung und Berührung nach ihrer Art. Es sind denkende und fühlende Wesen, die von uns geliebt werden sollten, so wie sie sind und nicht für das, was wir von ihnen fordern.
Intelligente Gehorsamsverweigerung bedeutet, der Hund darf Anweisungen nicht ausführen, wenn diese mit Gefahr verbunden ist. Bekommt der Blindenführhund beispielsweise den Befehl, seinen Halter über die Straße zu bringen, so wird er diesen selbstständig verweigern, falls ein Auto kommt.
„Wenn sie (Diabetiker Typ I) überzuckern oder unterzuckern muss der Hund alle Kommandos verweigern, falls nötig, um die Blutzuckerveränderung anzuzeigen. Die erste Priorität eines Diabetikerwarnhundes sollte immer das Anzeigen der Unterzuckerung und Überzuckerung sein. Geben Sie Ihrem Hund das Kommando „Sitz“ und „Bleib“; während der Blutzucker sinkt, muss er das Kommando brechen, aufstehen und zu Ihnen kommen und anzeigen. Für das Brechen des Kommandos und Anzeigen sollten Sie ihn unbedingt bestätigen, auch wenn Sie im ersten Moment sauer sind, dass er das Kommando nicht befolgt hat. Bringen Sie Ihren Hund nun nicht ins Sitz zurück sondern freuen sich darüber, dass er seine Arbeit so ernst nimmt, dass er sich selbst über Ihre Kommandos hinwegsetzt, um Ihnen zu helfen.“ (Vom Welpen zum Assistenzhund: Der Diabetikerwarnhund von Luca Barret)
Hier wird deutlich, in welche Konflikte Hunde ständig gebracht werden und was von ihnen abverlangt wird, ohne auf die gefühlsmäßigen Konsequenzen zu achten. Wie schon erwähnt, Hunde sind höchst kooperativ und sozial. Ihre Kooperationsfähigkeit wird ihnen hierbei zum Verhängnis.

Ein Markt ist da und wird immer größer!
In Deutschland gibt es sowohl große Assistenzhundezentren als auch die kleinem Anbieter um die Ecke, die noch nicht einmal eine Hundetrainerausbildung haben und nur aufgrund ihrer Erfahrungen mit Besuchshunden im Altenheim jetzt eine „Besuchshundeausbildung“ anbieten.

Es geht auch anders!
Die Tochter einer Bekannten hat das Asperger Syndrom und einen fünfeinhalb Jahre alten Labradoodle in der Familie. Der Hund ist NICHT als Therapiehund ausgebildet. Wofür auch? Er weiß auch so, wie er das Kind einzuschätzen hat. Er kam als Welpe in die Familie, als das Kind im Kleinkindalter und das Asperger Syndrom gerade diagnostiziert war. Der Hund leidet aufgrund dieser belastenden familiären Situation an oft auftretenden Hautproblemen, da die Krankheit des Kindes häufige Verhaltensausbrüche und -auffälligkeiten zur Folge hat. Stellt man sich jetzt noch vor, er wäre zusätzlich als Therapiehund für Autisten ausgebildet, käme ein weiterer Stressfaktor hinzu und auch er wäre in einer ständigen Erwartungshaltung. So kann der Labradoodle wenigstens ein einigermaßen „normales“ Hundeleben neben einem kranken Menschen führen. Er darf gehen, wenn es ihm zu viel wird und muss nicht still sitzen und alles über sich ergehen lassen, damit es dem Kind gut geht.
Auch vor dem Hintergrund, dass ich mir mit diesem Artikel wenig Freunde machen werde, ist und bleibt es mein Bestreben, mich als Hundepsychologin und Hundefreundin für Hunde einzusetzen damit sie ein relativ normales Hundeleben haben. Es gibt so viele Möglichkeiten einen Hund mit der Nase arbeiten zu lassen und mit Spaß zu beschäftigen.
In diesem Sinne, passen Sie gut auf Ihren Hund auf!
Bettina Küster
Hundepsychologin nTR
www.gute-laune-dogs.de