von
BETTINA KÜSTER
Was bedeutet Deprivation?
Die Deprivation ist ein Mangel oder Entzug von etwas, was man braucht.
Wenn wir das auf Hunde beziehen, dann ist es meistens ein Erfahrungsmangel.
Denken wir dabei doch nur mal an Hundewelpen von Vermehrern oder aus dem Auslandstierschutz.
Die Deprivation in der Welpenzeit löst ein Deprivationssyndrom aus. Dem Welpen fehlen durch schwere Deprivationen die notwendigen Reize und somit wird ein Entwicklungsschaden ausgelöst, der lebenslang nicht zu beheben ist. Dem Welpen fehlt meistens die komplette Sozialisierung an den Menschen und äußere Reize, wie z. B. Fahrräder oder Kinderwagen.
Beispiel: Mein Hund Emma ist ein Hund mit Deprivationsschaden, ihr Deprivationssyndrom ist kompensiert durch Management und das ich ihr beistehe in für sie schwierigen Situationen. Dieses Stress-Management bleibt allerdings lebenslang erhalten.
Emma ist auf Korfu geboren und am Straßenrand mit Mutter und Geschwistern aufgefunden worden. Auf der Insel gibt es keine Fahrräder, dafür aber viele LKWs. Emma ist heute 7Jahre alt und verfällt immer noch in eine leichte kontrollierbare Stresssituation, wenn sie ein Fahrrad sieht. Durch entsprechende Managementmaßnahmen habe ich ihr diese Situation erleichtert und kann sie mit dem Bleib-Signal und Handzeichen davon abhalten, dem Fahrrad bellend hinterher zu laufen.
Stehe ich mit Emma jedoch am Straßenrand und ein 7,5 Tonner LKW fährt an uns vorbei, zuckt sie noch nicht einmal zusammen.
Was kann ich tun, wenn ich einen Depri-Hund habe?
Als erstes benötigt man viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Eine Sensorische Diät ist hilfreich. Unternehmen Sie mit dem Hund Aktivitäten, die er gerne macht und wobei er sich entspannen kann. Auf gar keinen Fall darf eine Reizüberflutung bei einem Depri-Hund stattfinden, heißt, dass man nicht mehrere Sachen gleichzeitig macht, wie z. B. eine neue Umgebung, Menschen und Geräusche kennenlernen.
Vermeidung von Aufregern. In Emmas Fall: Vermeidung von Fahrrädern, was natürlich nicht immer geht. Behalten Sie Ihren Hund und sein Stress-Level immer im Auge. Je nervöser er wird, desto eher sind Sie angehalten ihn in eine ruhige und für ihn bekannte und entspannte Umgebung zu bringen, damit er sich beruhigt.
Ich habe Emma einen ritualisierten Tagesablauf angeboten und wir sind immer wieder mit Hundefreunden spazieren gegangen. So hat sie auch gleich viele Menschen kennen gelernt und sie hatte eine Erwartungssicherheit.
Deprivationshunde tragen am besten ein Geschirr (Angstgeschirr), damit sie nicht weglaufen können.
Emmas Deprivationsliste:
– ängstliches Verhalten gegenüber Menschen (oder Hunden)
– Aggressionen gegenüber Menschen
– stressanfällig (Schaum vorm Maul)
– nicht konzentriert/nicht ansprechbar
– Unsicherheit
– Fluchtverhalten
– Ausweichen/z. B. will nicht gestreichelt werden
– Unsicherheit bei verschiedenen Untergründen
– Fahrradfahrer/Jogger jagen
– Angst in der Stadt in belebten Situationen
– Angst vor neuen Situationen
– Angst davor, wenn z. B. auf einmal ein Karton im Raum steht
– wenn Freunde zu Besuch kommen
– Angst vor Kindern
– Ziehen an der Leine, Flüchten wollen
– Angst durch Türen hindurch zu gehen
Hier sind nochmal die Symptome von deprivierten Hunden, grob zusammengefasst:
– Hyperaktivität
– Neophobie (Angst vor Neuem)
– Inhibition (Hemmung von Verhalten)
– Störung im Sozialverhalten
– Aggression
– Stressempfindlichkeit
Entspannung und Kauen zum Stressabbau sind sehr wichtig, sowie die Förderung der Ruhe und Zuwendung sind unabdingbar bei einem Depri-Hund. Futter- und Suchspiele und Nasenarbeit wie Mantrailing, Verlorenensuche.
Auch die „Shoppingtour“ nach Geschäftsschluss wird für den ängstlichen Hund zu einer Herausforderung und er wird gefördert, ohne gestresst zu werden.
Das nennt man: Environmental Enrichment = “Bereicherung der Umwelt” eine direkte Übersetzung reicht nicht aus, um diesen Ansatz zu beschreiben. Dieses Konzept kommt aus der Zootierhaltung.
Hunde leben artgerecht und sind zufriedener, wenn ihre Umwelt den natürlichen Lebensbedingungen gleicht. Hunde lieben Nasenarbeit. Es ist ihr wichtigstes Organ. Deshalb können Sie Nasenarbeit in jeglicher Form für den Hund anbieten (Mantrailing, Schnüffelarbeit, Fährten, Apportieren).
Alle Hunde(sport)arten, bei der die Nase unseres Hundes gefördert wird, eignen sich auch für Depri-Hunde. Ein Hund hat bis zu 220 Millionen Riechzellen im Gegensatz zu uns Menschen, die nur 5 Millionen Riechzellen haben.
Gewöhnen Sie Ihren Hund an Geräusche, Dinge, Umgebungen und Menschen. Dabei ist es wichtig, den Hund aus der Ferne gucken zu lassen , viele kleine Dinge zu zeigen, wie Tüten oder Kartons usw..
Zum Wohlfühlen gehört ein gut strukturierte Arbeitsalltag, hochwertiges Futter und soziale Kontakte – aber auch die Möglichkeit, seine geistigen Fähigkeiten zu fördern und zu erweitern.
Bettina Küster
Hundepsychologin nTR
www.gute-laune-dogs.de
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Liebe Bettina, wir haben seit 2 Monaten einen Hund aus dem Tierheim, sie ist ein 3-4 jähriger Schäferhund-Mix, weiblich, unkastriert. Bis vor 5 Monaten lebte sie in einer Messy-Familie mit 3 Kindern, der Mutter der Kinder, 60 Kleintieren, einem weiteren kleinen Hund und oft wechselnden Männern. Was vor Ort allerdings genau geschehen ist, wissen wir nicht. Wir haben schon viel erreicht…wir können spüren, dass sie bereits viel Vertrauen zu uns aufgebaut hat. Wir arbeiten am Grundgehorsam, an der Leinenführigkeit und üben das Fahrradfahren, was sie freudig annimmt. Aufgrund meiner Arbeit, muss sie 3 Familien als ihr „Zuhause“ kennen lernen… Das sind meine Eltern und meine Schwiegereltern. Das sind wir langsam angegangen, klappt aber prima.
Was noch sehr wichtig ist: Ich gebe Musikunterricht zuhause, hauptsächlich für Kinder zwischen 4 und 15 Jahren.
Sie hat eindeutig mit Deprivation zu kämpfen… Das macht sich wie folgt bemerkbar:
Bei Geräuschen im Treppenhaus und bei Klingeln/Besuch extremes Bellen. Kein Schnelles, hohes Bellen, sondern tiefes, lautes, sicheres Bellen mit (sehr) kurzen Pause zwischen einem und dem nächsten. Sie ist dabei sehr angespannt und beruhigt sich auch nicht. Bei Erwachsenen ist es etwas besser geworden, bei den Kindern leider nicht. Ich schicke sie vor Eintreten des Besuchs auf die Decke, meist angeleint, da sie noch nicht bleibt. Die Besucher schenken ihr keine Beachtung. Doch sie kommt erst zur Ruhe, wenn ich sie zum Besuch hingehen lasse. Dann legt sie sich auf ihren Platz, sogar entspannt auf die Seite und ruht. Doch das ist ja nicht das, was wir möchten. Wir wissen uns hier einfach nicht zu helfen… Es ist schlimm, zumal wir in einem Wohnhaus wohnen und auf jeder Seite Nachbarn haben. Eine Bekannte hatte ein ähnliches Problem und sie meinte, wir dürfen nicht nachlassen und nicht die Methodik immer ändern (wozu wir tendieren, wenn es nicht klappt). Bei ihr hätte es fast ein Jahr gedauert, bis der Hund ruhiger wurde…
Die Ängstlichkeit draußen können wir händeln, meist gehen wir den Hunden aus dem Weg oder setzen sie am Rand ab. Sie hat auch schon 2 Freunde gefunden, mit denen sie spielt.
Wir versuchen langsam, die Dinge nachzuholen…zumindest das, was möglich ist…
Doch unter der Bellsituation leiden wir sehr…
Magst du uns hierzu einen Rat geben? Wir wären sehr sehr dankbar.
Liebe Grüße
Vio