Vor etwas längerer Zeit wurde ich zu einem älteren Ehepaar (ca. 70 Jahre) gerufen. Der Grund: Der junge Shih Tzu des Hauses sei aggressiv, würde knurren und beißen. Die Besitzer erinnerten mich sofort an den Schlag Menschen wie Herbert Knebel oder die Menschen aus der Sendung „Ein Herz und eine Seele“.  Mittendrin der angeblich aggressive Shih Tzu, der übrigens zum damaligen Zeitpunkt gerade mal vier Monate alt war. Sie und der Hund begrüßten mich freundlich. Ich sank ein in die Tiefen der niederrheinischen Eichenbarockatmosphäre und setzte mich auf die mit selbst gehäkelten Deckchen belegte Couch.
Eigentlich war dieses ganze Situation schon ziemlich komisch, doch dieser Hund brauchte dringend Hilfe, um vor den Haltern „gerettet“ zu werden.

Und schon ging es los. „Der hört überhaupt nicht, der is jefährlich, beißt und knurrt uns an.“ Ich starrte auf Sharky (den weißen Hai, äh Hund) und sah einen Hund, der völlig gelangweilt schaute. Es sah mich so an, als wenn er sagen wollte: „Rette mich!“
Während Herrchen und Frauchen auf Niederrhein-Platt durcheinander redeten, versuchte ich herauszufinden, in welchen Situationen Sharky beißt oder knurrt. „Dat kann ich Ihnen zeigen“, redete Frauchen drauf los. „Immer wenn ich den bürsten tu, beißt der.“ Ich konnte mir das gar nicht vorstellen und bat die Besitzerin darum, den Hund mal zu bürsten. Jetzt fing die Misere schon an. Die Besitzerin wusste nicht, wie man einen Hund hochhebt.
Hundesprache und Körpersprache waren ihr genauso fremd, wie vielen von uns die chinesische oder arabische Sprache. Der kleine Kampf-Shih Tzu und wir standen mittlerweile in der Küche. Der Küchentisch sollte der Tatort werden. Sharky beobachtete alles ganz genau. Die Besitzerin ging frontal auf Sharky zu und er bewegte sich natürlich rückwärts. Auf diese Art und Weise versuchte die Besitzerin den Hund hochzuheben, was ihr natürlich nicht gelang. Dabei umkreisten sie mehrmals den Küchentisch, denn jeden Schritt, den sie auf ihn zuging, erwiderte der „aggressive“ Shih Tzu mit einem Rückwärtsgang.
Dieses Verhalten ist völlig normal, denn man sollte nie frontal auf einen Hund zugehen, wenn man ihn hochheben möchte. Da die Frau von ihrer fülligen körperlichen Konstellation her nicht in der Lage war,dieses Spielchen, welches Sharky offensichtlich mit ihr spielte, durchzuhalten, unterbrach ich es. Ich näherte mich dem Hund von der Seite, legte eine Hand unter seinen Bauch, und mit meiner anderen Hand nahm ich sein Hinterteil und die Beine hoch und setzte ihn auf den Küchentisch zum Bürsten. Nun schaute Sharky schon etwas ängstlicher drein. Es war ganz offensichtlich, dass er etwas Unangenehmes erwartete. Er guckte hektisch hin und her, legte die Ohren an und fing an zu hecheln.
Dann passierte es. Frauchen holte die Bürste hervor und schlug, man kann es nicht anders sagen, auf den armen kleinen Hund ein. Die Bürste landete auf seinem Widerrist, dann zog sie sie gefühllos mit Gewalt herunter.
Ich rief sofort: “Stooooop!“
„Warum?“, fragte die Besitzerin.
Ich erklärte ihr, dass sie dem Hund Schmerzen zufügt, durch die Art und Weise, wie sie ihren Hund bürstet. Die Aggression und das daraus resultierende Beißen des Shih Tzus erfolgten eindeutig durch die Schmerzen, die er nicht bereit war zu erleiden. Deshalb legte er dieses verständliche Verhalten an den Tag. Irgendwie schauten sie immer noch sehr verdutzt.
Ich erklärte es folgendermaßen: „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen beim Friseur. Der Friseur kommt und will erst einmal Ihr Haar durchbürsten, nimmt die Bürste und haut sie ihnen auf den Kopf und zieht diese dann runter. Sie würden ihm ohne vorherige Ankündigung eine klatschen, da er Sie misshandelt und Ihnen Schmerzen zugefügt hat.“
„Ja“, brummte es zweistimmige Einigkeit.
„Sehen Sie, genau das macht Sharky auch, er wehrt sich, da er Angst vor Schmerzen hat und sich verteidigen will. Erst knurrt er als Androhung, soll heißen, wenn Du nicht aufhörst, bekommst Du meine Zähne zu spüren. Und wenn darauf keiner reagiert, beißt er.“
„Meinen Sie, dat tut dem Hund weh, wenn ich den bürsten tu?“, fragte die Besitzerin.
„Ja, ich kann Sie ja mal so bürsten, damit Sie ein Gefühl dafür bekommen, wie weh es tut, so gebürstet zu werden“, erwiderte ich. Dann nahm ich die Bürste, ließ Sharky daran schnüffeln und fing ganz langsam und behutsam an, ihn mit der Bürste zu berühren, aber nur für einige Sekunden, denn er musste sich erst einmal von dem Schreck erholen. Ich setzte den Hund auf den Boden. Ich erklärte den Besitzern, wie sie in Zukunft ihren Hund bürsten sollen.
Sharky hatte gelernt „Bürsten tut weh“, das musste jetzt umgeändert werden in „Bürsten heißt belohnen, gibt Leckerchen.“ Das vorher Erlernte sollte ausgelöscht werden (Extinktion) und die erfahrene Reizkombination soll plötzlich ihrem Vorhersagewert beraubt werden, weil die erwartete Konsequenz (Schmerz) nicht mehr eintritt. Der Hund hatte keine aggressiven Tendenzen, sondern „nur“ eine Aggression auf einen Reiz (schmerzhaftes Bürsten) hin entwickelt.

Bettina Küster
gute-laune-dogs.de
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