Wenn aus Angst Stress wird.
Stress beim Hund und seine Auswirkungen.
BETTINA KÜSTER
In Deutschland lebten im Jahr 2014 laut Statistica (Statistik-Portal) 8,25 Millionen Hunde in einem Haushalt und sogar 1,2 Millionen Hunde lebten mit einem Sozialpartner zusammen. Die meisten dieser Hunde – wie wir Menschen auch – haben vor irgendetwas Angst. Wenn wir als Hundehalter diese Angst nicht erkennen, kann sie zum Stress führen. Stress kann zu weitreichenden Verhaltensproblemen und/oder zu gesundheitlichen Einschränkungen führen. Dieser Artikel soll Aufschluss darüber geben, wie aus Angst Stress wird und wie wir unserem besten Freund des Menschen bei der Bewältigung behilflich sein können, bzw. den Stress erst gar nicht aufkommen lassen.
Angstreaktionen sind bei Hunden weitgehend dasselbe wie extreme Stresssitutationen. Es entsteht ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn, das von einem hohen Stresspegel verursacht wurde, welcher vom Notfallreaktions-Mechanismus (Geist und Körper) aktiviert wurde.
„Stress bezieht sich nicht nur auf Dinge, die beunruhigen oder ängstigen. Er bezieht sich auch auf alles Innerliche und Äußerliche, das einen Einfluss auf das Tier ausübt und eine Reaktion erforderlich macht.“ (O´Heare, S.31)
Stress ist der Versuch eine Verhaltensstrategie zu aktivieren, um eine Bedrohung abzuwenden um das Problem zu lösen.
Kontrollierter Stress (auch Herausforderung genannt) beginnt in der Hirnrinde ganz oben, wo alle Fäden zusammen laufen. Eine kurze Stressreaktion, wofür wir eine Lösung finden.
Es ist eine Information, die ankommt, die
1. in dieser Situation
2. zu diesem Zeitpunkt
3. in dieser Weise
nicht erwartet wurde. Sie stört die ablaufenden Prozesse.
Beispiel für eine kontrollierbare Stresssituation beim Hund:
Fahrradfahrer nähert sich. Hierbei ist die Individualität jedes einzelnen Hundes zu erwähnen, denn jeder Hund ist ein Individuum und reagiert anders. In diesem Beispiel geht es um einen Hund, der schon in eine kontrollierbare Stresssitutation gerät, wenn er von Weitem die Geräusche des Fahrradmantels auf dem Asphalt hört und dann noch das sich nähernde Fahrrad sieht.
Hunde hören Hunde in Frequenzbereiche / Tonhöhen, die unser menschliches Gehör nicht mehr wahrnehmen kann. Der zweite Unterschied besteht darin, dass Hunde ihre Ohrmuscheln bewegen und so Geräuschquellen, präziser als Menschen, orten können. Um dem Hund diesen Stress zu nehmen oder ihn zu lindern, muss ich als Halter die Situation managen bzw. vorausschauend laufen. Die 1. Managementmaßnahme in dieser kontrollierbaren Stresssituation ist: Versuche so wenig wie möglich auf Wegen zu laufen, die gerne von Fahrradfahrern frequentiert werden. Doch so etwas ist leider nicht immer möglich. Dann gehen wir wie folgt vor:
Ich halte an, sehe mich um, ob ich die Möglichkeit habe, den Weg zu verlassen, bzw. genügend Platz habe, um den Fahrradfahrer vorbei zu lassen, ohne dass mein Hund in unkontrollierbaren Stress verfällt.
Habe ich keine Möglichkeit auszuweichen, weiche ich mit meinen Hund aus, so dass der Fahrradfahrer genügend Platz hat vorbei zu fahren und mein Hund sich in einer für ihn sicheren Zone befindet.
Ich versuche nun die Aufmerksamkeit des Hundes bei mir zu halten und spreche mit dem Hund: Z. B. mit einem Entspannungswort „Ist ja gut“. Während der Fahrradfahrer vorbeifährt, erhält der Hund eine Belohnung, wenn er ruhig geblieben ist, verbunden mit einem Belohnungswort, z. B. „Super“ oder „Fein“.
Sollte Ihr Hund nicht an der Leine sein, geben Sie ihm das Signal „Bleib“ (sofern er das beherrscht). So können Sie Ihren Hund auch auf Distanz lenken und der Hund hat das Gefühl, ein bisschen „freier“ zu entscheiden, bzw. zu seinem „Wohl“. Ohne Leine kann er sich bewegen, wie er möchte und Stress abbauen, Hauptsache Sie verhindern, dass er dem Fahrradfahrer bellend hinterher läuft.
Im Gehirn führt die eben erwähnte entstandene Aufregung (Fahrradfahrer nähert sich und wird vom Hund gesichtet) dazu, dass auch tiefer liegende Nervenzellen von der sich ausbreitenden Erregung erfasst werden.
Was passiert wenn alle Wege blockiert oder verbaut sind?
Dann gehen zusätzlich zu den Alarmglocken noch die Sirenen an. Im Gehirn ist jetzt der Teufel los, alles geht durcheinander. Es werden Substanzen abgesondert, die mit dem vorbeiströmenden Blut in eine Drüse an der Unterseite des Gehirns transportiert werden. Sie bewirken, dass von den Zellen der Hirnanhangdrüse ein Hormon ausgeschüttet wird. Es gelangt mit dem vorbei fliessendem Blut zu den Nebennieren. Diese schütten nun eine große Menge eines weiteren Stresshomons – Kortisol – aus und hat viel tiefergreifende und weiterreichende Nebenwirkungen als Adrenalin.
Nunmehr ist die ablaufende Stressreaktion nicht mehr anzuhalten, nicht mehr kontrollierbar. Vergeblich wird nach einem Ausweg, einer Lösung gesucht.
Wichtig!
Bei einem Hund dauert der Abbau des Kortisols wesentlich länger als beim Menschen. Wenn nun unser Hund in ständigem Stress lebt, kann man sich vorstellen wie er sich fühlen muss und wie stressig sein Leben ist, wenn er nicht genügend Möglichkeiten zur Entspannung und zum Schlafen hat, um das Kortisol abzubauen. Hunde, die nicht genügend Schlaf bekommen, sind anfälliger für Krankheiten und benehmen sich insgesamt aggressiver. Menschen kompensieren Schlafmangel durch tiefen und festen Schlaf. Hund dösen teilweise auch nur vor sich hin und sind sofort hellwach, wenn etwas Spannendes passiert.
Es gibt also grob gesagt zwei Stressarten, wobei bei beiden das Anfangsgefühl Angst ist.
1. Kontrollierbare Stressreaktion
Sie ist für kurze Zeit und eine Lösung kann gefunden werden. Die angelegten Verschaltungen im Gehirn sind prinzipiell zur Beseitigung der Störung geeignet.
und eine
2. Unkontrollierbare Stressreaktion
Sie kann Tage, Wochen anhalten und ist meist auswegslos.
Versuchstiere leiden unter unkontrollierbarem Stress, dem Phänomen, das „behavioural inhibitation“ genannt wird. Der ständige unkontrollierbare tägliche Stress führt zu einem Zustand von „learned helplessness“ (erlernte Hilflosigkeit) und ist Auslöser für stressindiuzierte Erkrankungen.
Wie schon erwähnt, haben beide Stressarten als Anfangsgefühl die Angst. Diese Angst hat unterschiedliche Wirkungen auf Gehirn und Körper.
Wenn eine Belastung kontrolliert ist, kehrt sich plötzlich alles um. Aus der Bedrohung wird eine Herausforderung, aus Angst wird Zuversicht und Mut.
Ganz anders verhält sich der Hund wenn er keinen Ausweg aus seiner Angst sieht, wenn er erkennt, dass er keine Möglichkeit hat eine drohende Gefahr abzuwenden. Dann kann die Angst auch in Aggression umschlagen, und zwar die angstbedingte Aggression. Folgende Gegebenheiten können zu unkontrollierbarem Stress bzw. angstbedingter Aggression führen:
Stressauslösende Faktoren beim Hund
Welche Faktoren bei einem Hund Stress auslösen können, ist sehr unterschiedlich. Im Folgenden eine Aufzählung der wichtigsten potenziellen „Stressoren“:
– Chronische und/ oder akute Krankheit, evtl. mit Schmerz verbunden
– Hunger, Durst, falsche Ernährung
– Schlafdefizite/ Erschöpfungszustände
– Plötzliche Veränderungen wie Umzug, Familienzuwachs, Besitzerwechsel usw.
– Trauer durch Verlust eines Sozialpartners
– Bedrohung, Angst
– Situation der Erwartungsunsicherheit: Der Hund versteht die an ihn gestellte Aufgabe/ Anforderung nicht und wird dadurch verunsichert.
o Zu viel emotionale Aufregung, sei sie positiv oder negativ, stresst den Hund. Hierzu kann auch die Auseinandersetzung mit unbekannten Situationen gehören, selbst wenn diese ungefährlich sind. Das Erkunden von Neuem und das Aufnehmen und Verarbeiten von Reizen strengen an. Der Hund braucht anschließend ausreichend lange Ruhephasen, um Erregungszustände wieder abbauen zu können.
– Der Hund darf niemals frei laufen, ist immer angeleint.
– Der Hund darf seinen natürlichen Instinkten wie Schnüffeln nicht nachgehen.
– Er hat keinen Kontakt zu Artgenossen.
– Er wird isoliert auf einem Grundstück oder in einem Zwinger gehalten ohne Kontakte zur Außenwelt und ist sowohl Kälte als auch Hitze ausgeliefert.
– Er wird geschlagen bzw. mit althergebrachten Methoden erzogen.
– Er wird mit Reizstromgeräten und /oder Sprühhalsbändern und mit Würge- und/oder Stachelhalsband „erzogen“.
Beim Hund sowie beim Menschen sind psychosoziale Konflikte die wichtigste und häufigste Ursache für unkontrollierbaren Stress.
Was heißt das?
Für sozial organisierte Säugetiere wie die Schweine ist bereits die Abtrennung von der Herde eine unkontrollierbare Bedrohung und somit unkontrollierbarer Stress.
Wie erkenne ich Stress bei Hunden?
– Rastlosigkeit, er kann nicht zur Ruhe kommen
– Überreaktion auf Ereignisse (z.B. wenn es an der Tür klingelt)
– Einsatz von Beruhigungs- und Beschwichtigungssignalen (Calming Signals)
– Stereotypien wie Schwanzjagen oder übertriebene Körperpflege z. B. Beißen, ständiges Lecken, Kratzen
– Dinge zerbeißen
– Bellen, Jaulen, Winseln, Heulen
-Durchfall, Erbrechen
– Appetitlosigkeit
– unangenehmer Körpergeruch, übler Geruch aus dem Maul
– plötzliche unerwartetes Auftreten von Schuppen
Damit ein Hund Stressbewältigungsstrategien entwickeln kann, aber nicht überlastet wird, sollten man ihn mit leichtem Stress in Verbindung setzen mit der Konzentration auf eine Aufgabe, damit er eine Stressbewältigungsstrategie entwickeln kann. Sollte es Ihnen nicht gelingen einer Überlastung vorzubeugen, könnte der Hund darauf hektisch oder gar lethargisch reagieren, wäre dieses dann seine Art der Bewältigungsstrategie.
Zum Schluss möchte ich noch auf das wichtigste und am meisten ausgeprägteste Organ des Hundes – die Nase – eingehen. Hunde sind Makrosmatiker (Nasentiere). Sie erschnüffeln ihre (Um) Welt. Damit Ihr Hund artgerecht ausgelastet und nicht gestresst wird, lassen Sie ihn einfach schnüffeln.
LASSEN SIE IHREN HUND BEIM SPAZIERGANG AUSGIEBIG SCHNÜFFELN!
Geruch ist der wichtigste Sinn für Hunde, so wichtig wie das Sehen für den Menschen.
Verwenden Sie das zu Ihrem Vorteil, wenn Sie mit ihrem Hund spazieren gehen. Lassen Sie es zu, dass er seine Welt durch Schnüffeln erforscht und entdeckt. Dies wird nicht nur ein Spaziergang, sondern viel mehr als das, nämlich Spaß und artgerechte Auslastung. Schnüffeln ist eine geistige Bereicherung für Ihren Hund, er wird entspannt, müde und zufriedener.
Hunde haben bis zu 300 Mio. Riechzellen, Menschen bis zu 5 Millionen.
Menschen riechen die Spaghetti-Sauce. Ihr Hund riecht jede Zutat. Sie sind wahre Riechkünstler.
Hunde erkennen u. a. anhand des Geruchs:
Unter- und/oder Überzuckerung
Vermisste Personen
Drogen
Krebs
Sprengstoff
Bettina Küster
Januar 2015
www.gute-laune-dogs.de
Herzlichen Dank für diesen tollen Beitrag. Es wird sehr gut verdeutlicht, dass und warum ein Hund in einer unkontrollierten Stressreaktion nicht mehr ansprechbar ist (jedenfalls in einer nicht tierschutzrelevanten Weise) bzw. gar nicht ansprechbar sein kann. Ich wünschte, das würde jedem Hundehalter klar sein. Dann würden vielen Hunden aggressive Übergriffe seitens ihrer Halterr erspart bleiben.
Liebe Bärbel,
Vielen Dank für Deinen Kommentar.
LG
Bettina
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